Laschet: "Wechselwirkung zwischen Christentum und Politik nötig"
Den Auftrag an die Christen, die Welt zu gestalten und sich dafür auch politisch zu engagieren, hat der deutsche Bundestagsabgeordnete und ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet hervorgehoben. Es brauche eine Wechselwirkung zwischen Christentum und Politik, zwischen Christsein und Politiker sein, sagte Laschet in einem Vortrag bei der Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreichs (KMBÖ) im niederösterreichischen Horn. Sorge äußerte Laschet darüber, dass die Weitergabe des christlichen Glaubens und damit eine christliche Werteorientierung in Ländern wie Deutschland oder Österreich abnimmt und das Christentum zunehmend „verdunstet“.
Bereits 42 Prozent der Menschen in Deutschland seien konfessionslos, 24 Prozent katholisch, 22 Prozent evangelisch. Der Rekord an Austritten aus der katholischen Kirche von mehr als 500.000 im Jahr 2022, befeuert durch die Missbrauchskrise, sei „ein Aderlass“ gewesen, so der Katholik Laschet. Seiner Einschätzung verläuft die Aufarbeitung dieser Missbrauchskrise nur bedingt gut. So helfe die Tendenz mancher Bischöfe, vor allem auf eine Schuldzuweisung an ihre Vorgänger zu setzen, nicht weiter. Es brauche ein klares Wahrnehmen der Verantwortung für die Maßnahmen heute, was Schutzmaßnahmen und den Umgang mit den Opfern aus Vergangenheit betrifft, und wenn es persönliche Versäumnisse oder Verfehlungen gegeben habe, dann sollten die betroffenen Bischöfe auch persönliche Konsequenzen ziehen, sagte Laschet.
Die katholische Kirche sei durch diese Krise zu sehr mit sich selbst beschäftig und geschwächt, um in gesellschaftspolitischen Fragen entsprechend gehört zu werden, etwa in der derzeitigen Debatte über die Sterbehilfe. „Eine Gesellschaft, in der die Kirchen nicht mehr ihre Werte einbringen, weil sie zu schwach oder in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt sind, erfährt einen großen Verlust, denn andere vermitteln diese Werte nicht“, so der führende CDU-Politiker. Populisten und „skurrile Gruppierungen“ erhielten dadurch Aufschwung. Laschet bekräftigte in dem Zusammenhang seine scharfe Kritik an der AFD, die vor wenigen Tagen in einer Rede im Bundestag geäußert hatte und die im Netz viel Aufmerksamkeit fand (s. Youtube).
Christliche Soziallehre aktualisieren
Als eine wesentliche Basis für christliche Politik bezeichnete Laschet die christliche Soziallehre. Auf katholischer Seite habe Papst Leo XIII. mit seinem Sozialrundschreiben „Rerum Novarum“ 1891 wichtige Weichen gestellt. Er habe im Blick auf die damalige Situation einen Mittelweg zwischen Liberalismus und Kollektivismus versucht; spätere Konzepte sprachen von der „sozialen Marktwirtschaft“. Aber auch die christliche Soziallehre müsse stets aktualisiert werden, etwa im Blick auf die Klimakrise oder die Künstliche Intelligenz.
100 Jahre nach „Rerum Novarum“ veröffentlichte Johannes Paul II. seine Sozialenzyklika „Centesimus Annus“, im Jahr 1991 nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Der damalige Papst schreibt – so Laschet – von einer Niederlage des Kommunismus, aber keinem Sieg des Kapitalismus. Er warne vor Geldwerten, die nicht auf der Basis menschlicher Arbeit geschaffen werden, sondern durch Finanzspekulationen aller Art. Mit seiner Warnung habe er Entwicklungen vorausgesehen, wie sie mit der Finanzkrise 2008 eintraten. Zur Besteuerung von Finanztransaktionen („Tobin-Steuer“) sagte er in dem Zusammenhang, eine solche mache nur Sinn, wenn alle Länder der Welt mitmachen, denn ansonsten würden die betroffenen Börsengeschäfte und sonstigen Finanztransaktionen sofort dort angesiedelt, wo diese Steuer nicht eingehoben wird.
Die Christliche Soziallehre muss ebenso stets aktualisiert, modernisiert werden, sagte Laschet weiter, allerdings gebe es heute wieder Tendenzen, zu viel staatlich zu regeln. Das überfordere den Staat, auch finanziell. Andererseits verteidigte der überzeugte Europapolitiker die EU gegen den Vorwurf, zu viel zentral regeln zu wollen. Wenn man einen Binnenmarkt und damit eine EU ohne innere Grenzen wolle, brauche man einheitliche Standards.
Ukraine: Beistand, keine NATO-Aufnahme derzeit
Im Blick auf den Ukraine-Krieg erinnerte Laschet an das „Budapester Memorandum“ von 1994. Darin verzichtete die Ukraine – wie auch Belarus und Kasachstan – auf die Atomwaffen, die aus der Zeit der Sowjetunion noch auf ihrem Gebiet stationiert waren; im Gegenzug sagten Russland, Großbritannien und die USA der Ukraine Sicherheitsgarantien und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen zu. Mit Eroberung der Krim und dem jetzigen Krieg gegen die Ukraine hat Russland dieses Abkommen verletzt. Im Memorandum ist allerdings nicht festgeschrieben, welche Folgen bzw. Verpflichtungen eine solche Verletzung nach sich zieht. Die Ukraine brauche Unterstützung, in der jetzigen Situation sei es aber vernünftig, die Ukraine nicht in die NATO aufzunehmen, denn dann wäre die Beistandspflicht sofort gegeben, so Laschet, der Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages ist.
Zur Flüchtlingspolitik der EU erklärte er, Europa sei verpflichtet, Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Die Prüfung der Anträge müsse aber an den Außengrenzen erfolgen, abgelehnte Asylwerber müssten zurückgeschickt werden können. Es brauche dann aber auch in ein Verteilsystem in der EU, auch wenn sich Ungarn und einige andere dagegen wehren. Auf die Frage, ob Klimawandel als Fluchtgrund anerkannt werden soll, sagte Laschet, derzeit sehe er dafür noch nicht die Voraussetzungen, aber in Zukunft sei das nicht ausgeschlossen.
Laschet ist auch Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Nach dem Ausschluss Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine hat der Europarat 46 Mitglieder. Es gebe noch einige andere Konflikte in Europa, nicht nur den in der Ukraine, hier zu vermitteln, sei eine wichtige Aufgabe des Europarates. Er wünsche sich im Blick auf Europa, dass es keinen Rückfall in weitere Kriege gebe und der Zusammenhalt erhalten bleibe.
Zum Synodalen Prozess, den Papst Franziskus gestartet hat und der im Herbst in eine Weltbischofssynode mündet, sagte Laschet, er wolle als Politiker dazu nicht im Detail Stellung nehmen. Sein Eindruck sei, dass die Diskussionen dazu in Deutschland und auch in Österreich stark von der hiesigen Sicht der Dinge geprägt seien. Die Synode müsse aber Positionen finden, die überall in der Weltkirche angenommen werden.
Die KMBÖ-Sommerakademie 2023 vom 13. bis 15. Juli im Campus Horn in Niederösterreich stand unter dem Thema "Glaube und Verantwortung heute und morgen".
(jp/14.7.2023)