„Es braucht die Ermutigung zur Demokratie als Lebensform“
Demokratie ist eine „Lebensform“, und als solche muss sie von den Bürgerinnen und Bürgern eingeübt sowie laufend erlebt und praktiziert werden; geschieht das nicht, ist sie gefährdet. Darauf hat der Leiter „Parlamentswissenschaftlichen Grundsatzarbeit“ im österreichischen Parlament, Christoph Konrath, zum Abschluss der Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreich (KMBÖ) in Horn hingewiesen. Demokratie werde heute oft nur noch als etwas Formales oder Instrumentelles wahrgenommen, bedauerte Konrath. Man kenne die Grundregeln, vor allem, wie die Wahlen funktionieren, und vertraue darauf, dass andere auf die Demokratie und ihr Fortbestehen achtgeben.
Im Detail erwarte man im Blick auf demokratische Einrichtungen, Gerichte und Verwaltung, dass sie funktionieren. Von der Politik erwarte man sich, dass die „Erfolge“ liefert, vor allem hinsichtlich einer guten Entwicklung der Wirtschaft. „Viele Menschen werden zu passiven Bürgerinnen und Bürgern, selbst für diese Ziele aktiv zu sein, ist im Rückgang. Wenn nicht alles reibungslos funktioniert, herrscht Enttäuschung“, so Konrath. Andere verstünden Demokratie sehr instrumentell, d.h. sie versuchten, ihre Regeln für ihre eigene Ziele auszureizen – „was ist möglich?“ und nicht „was sollen wir tun?“. Das gelte auch für die Regierungen in manchen Ländern, derzeit etwa in Ungarn und der Slowakei.
Dagegen könne helfen, immer wieder den „Geist“ der Demokratie in Erinnerung zu rufen und zu debattieren, was Demokratie im Detail tatsächlich heiße. Sie bedeute eben nicht bloße Herrschaft der Mehrheit, sondern brauche auch Selbstbeschränkungen wie Minderheitenschutz und einen Verfassungsgerichtshof, der die Grundlagen schützt, so der leitende Parlamentsmitarbeiter.
Kommunikation unter Abgeordneten fördern
Wesentlich für den Schutz der Demokratie und ihren Erhalt als „Lebensform“ seien auch Möglichkeiten und Räume für die Begegnung und das Gespräch der Abgeordneten untereinander. So gebe es etwa im kanadischen Parlament zum Auftakt jeder Sitzung 15 Minuten freier Rede, in der die Abgeordneten alles, was ihnen ein Anliegen ist, zur Sprache bringen können. Die Parlamentarier redeten einander auch nicht mit Namen, sondern als Abgeordnete des jeweiligen Wahlkreises an. „Das erinnert alle an ihr Amt, ihr Mandat, das sie übernommen haben, und ist ein Zeichen des Respekts voreinander“, berichtete Konrath. Als weiteres Beispiel wies auf das Parlament des US-Bundesstaates Texas hin. In diesem gebe es keine Sitzordnung, was die Kommunikation unter den Abgeordneten unterschiedlicher Parteien stark fördere. Trump-Anhänger versuchten derzeit, dies abzuschaffen.
In Österreich sieht Konrath einen intensiveren Austausch unter den Abgeordneten dadurch erschwert, dass die demokratischen Gremien (Parlament, Landtage…) im Vergleich eine eher niedrige Tagungsfrequenz aufweisen. Auch gebe es – im Vergleich zu manch anderen westlichen Parlamenten – weniger Zeit für einen eingehenden Austausch mit Fachleuten aus verschiedensten Gebieten.
Steigende Zahl von Nicht-Wahlberechtigten
Bei den Wahlberechtigten sei die Tendenz festzustellen, dass sie immer weniger Zeit und Energie aufbringen, sich für Politik zu interessieren und sich mit politischen Fragen eingehender zu beschäftigen. Eine Folge sei die sinkende Wahlbeteiligung. Konrath appellierte an die Kirche, ihre Möglichkeit zu nutzen, um die Menschen zur Teilnahme an Politik und Wahlen zu motivieren.
Als eine weitere Gefahr für die „Lebensform Demokratie“ nannte der Parlamentarismus-Experte die stark steigende Zahl der Nicht-Wahlberechtigten in Österreich. Viele dieser Zuwanderer hätten als Arbeitnehmer allerdings das Recht, an den Arbeiterkammerwahlen teilzunehmen. Studien hätten gezeigt, dass sie die Unterlagen, die ihnen dazu zugeschickt werden, in vielen Fällen gar nicht öffnen, das sie irrigerweise annehmen, gar nicht wahlberechtigt zu sein.
Konrath zusammenfassend: „Demokratie ist nichts Fixes, sondern muss immer wieder erarbeitet, gelebt und erlebt werden. Es braucht nicht nur den Blick auf das, was sie gefährdet, sondern noch mehr die Erfolgsgeschichten.“
(jp/22.7.2024)